Hast du Töne!

Die GESchichte einer Flucht aus tonalen FISimatenten

Es war einmal ein fis, das in der C-Dur-Tonleiter lebte. Es hatte dort schon gelebt, solange es denken konnte; wie es dort hingekommen war, wusste es nicht. Nun weiß eigentlich jeder kleine Musikschüler schon, dass die C-Dur-Tonleiter aus allerlei Tönen besteht, aber das fis nicht dazugehört; und dies erfuhr auch unser fis immer wieder aufs Neue. Die anderen Töne der C-Dur-Tonleiter behandelten es nämlich nicht wie einen dazugehörenden Ton, sondern so, als wäre es etwas ganz besonders Fieses und Überflüssiges.
   Das f und das g, denen das fis am nächsten war, schnauzten zum Beispiel ständig: „Nimm nicht so viel Platz weg! Der Platz, den du da wegnimmst, gehört nämlich eigentlich uns, weil du ja sowieso nicht hierhergehörst!“ Das c seufzte: „Es ist schade, dass der Grundton hier so wenig zu sagen hat, denn sonst wäre dieses fis schon längst weg vom Fenster. Wir sind hier schließlich die einzige Tonleiter ohne Vorzeichen.“ Und das h, das ohnehin immer sehr hochnäsig tat, weil es der Leitton war, pflegte zu behaupten: „Es ist eine Zumutung für unsereins, dass dieser Ton –“ (es war sich sogar zu schade, das fis beim Namen zu nennen) „– hier herumschmarotzt. Das geht auf Kosten der Harmonie!“
   Kein Wunder, dass das fis, das solches und ähnliches stets zu hören bekam, langsam immer deprimierter wurde. Lange Zeit hatte es sich noch nach Kräften bemüht, mit den übrigen Tönen zurechtzukommen und sie vielleicht sogar als Freunde zu gewinnen. Es hatte beispielsweise versucht, das d und das a zu überreden, mit ihm zusammen einen D-Dur-Dreiklang anzustimmen und so die anderen Töne davon zu überzeugen, dass es keineswegs die Harmonie zerstörte, aber die beiden hatten nichts davon hören wollen. Einmal hatte es auch erklärt, dass man mit seiner Hilfe eine G-Dur-Tonleiter erklingen lassen könnte, doch damit hatte es einen fürchterlichen Krach verursacht; alle Töne brüllten und schimpften durcheinander, sie würden sich von so einem aufsässigen und nutzlosen Ton nicht ihre Identität rauben lassen, und besonders das f zeterte lauthals, weil es in einer G-Dur-Tonleiter nun einmal hätte schweigen müssen. Auf diese Weise war jeder Versöhnungsversuch, den das fis unternahm, kläglich gescheitert. Und irgendwann sah es nicht mehr ein, warum es sich noch länger Mühe mit etwas geben sollte, das ganz offensichtlich hoffnungslos war; es hörte also auf, den Kontakt mit den übrigen Tönen zu suchen. Aber gleichzeitig sagte es sich: Du bist nicht weniger wert als die anderen, egal was sie dir weismachen wollen! Du bist ein Ton wie sie alle; und weder kannst du etwas dafür, dass du hier bist, noch bist du mit böser Absicht hier. Sie machen dich ohne jeden Grund fertig, das verdienst du nicht! Und du hast das Recht, ihnen das zu sagen!
   Nach diesem langen Monolog nahm es tatsächlich all seinen Mut zusammen und verkündete mit lauter Stimme: „Ihr behandelt mich alle völlig ungerecht! Ich bin ein Ton wie jeder von euch, nicht mehr und nicht weniger wert! Und ich wohne nun mal hier, deshalb bitte ich darum, wenn schon nicht akzeptiert, dann wenigstens in Ruhe gelassen zu werden!“
   Alle Töne waren einen Moment lang still, denn einen solchen Ausbruch hatten sie vom fis nicht erwartet – allerdings wirklich nur einen Moment lang.
   „Angeber! Bilde dir bloß nichts ein!“ kreischte das e, das als erstes seine Stimme wiedergefunden hatte. Das h fiel sofort ein, denn als Leitton musste es zu dieser Ungeheuerlichkeit natürlich möglichst schnell ein Machtwort sprechen: „Diesem Ton scheint es in unserer Mitte nicht zu gefallen. Es steht ihm frei, sich eine andere Bleibe zu wählen –  wir werden ihn bestimmt nicht daran hindern!“ – „Ja, ja, bloß weg mit dem fis,“ schrien f und g im Chor, was sich ziemlich dissonant anhörte; „wir wollen endlich den Platz haben, der uns zusteht!“ So oder ähnlich riefen die Töne durcheinander, wovon das fis jedoch nicht viel mitbekam – außer einem: dass es verschwinden sollte.
   Sie wollen, dass ich gehe, dachte es – dass ich von zu Hause weggehe, wo ich mein ganzes Dasein verbracht habe? Wo soll ich denn dann hingehen?
   Das fis schluckte. Aber da die anderen Töne immer noch durcheinander schrien und offenbar nicht eher aufzuhören gedachten, als das fis tatsächlich verschwand, und dem fis außerdem schon die Ohren wehtaten von dem Lärm, dachte es schließlich: Es kann nirgends schlimmer sein als hier!
   Und entschlossen verließ es die C-Dur-Tonleiter.
   Es spürte sofort, dass es ihm außerhalb der C-Dur-Tonleiter viel besser ging als jemals zuvor. Niemand mehr, der mit seiner Anwesenheit nicht einverstanden war! Niemand, dem es Platz wegnahm! Niemand, der ihm vorwarf, ein Störenfried zu sein! Das fis fühlte sich großartig. Nachdem es sich eine Weile still über seine Freiheit gefreut hatte, probierte es seine Stimme aus und war überrascht, wie rein sie klang, so ohne die Schwingungen der übrigen Töne der C-Dur-Tonleiter im Hintergrund. Eine weitere Weile freute es sich über die Reinheit seiner Stimme und dachte daran, dass nie wieder irgend jemand schimpfen würde, wenn es sie erklingen ließ. Dann fiel ihm plötzlich etwas auf.
   Etwas fehlt, wurde ihm klar. Ich kann nicht immer nur meine eigene Stimme hören, ohne wahnsinnig zu werden – immer nur einen einzigen Ton! Und es dachte mit ein bisschen Wehmut an das d und das a der C-Dur-Tonleiter, mit denen es einen so schönen Dreiklang hätte bilden können, wenn diese sich nicht so standhaft geweigert hätten. Auf jeden Fall, überlegte es, muss ich andere Töne finden, die mich brauchen, mit denen ich Musik machen kann. Sonst kann ich nicht weiter existieren.
   Glücklicherweise besaß das fis einen ausgeprägten Überlebensdrang. Es beschloss, erst einmal loszuziehen und sich auf die Suche nach Tönen zu machen, bei denen es willkommen und nützlich sein würde. Es dauerte auch nicht besonders lange, bis es zur G-Dur-Tonleiter kam, wo es auf das Herzlichste begrüßt wurde. Das fis war sehr glücklich, war es doch das erste Mal, dass es eine andere Behandlung erfuhr als grobe Beschimpfungen; und es nahm auch gerne die Einladung an, zunächst in der G-Dur-Tonleiter zu bleiben, die alle Töne einstimmig aussprachen. Natürlich musste es ihnen seine Geschichte erzählen, und seine neuen Bekannten waren sehr empört über die Art, wie die Töne in seiner alten Heimat mit ihm umgesprungen waren. „Weißt du,“ vertraute ihm der Grundton an, „diese Typen von der C-Dur-Tonleiter sehen sich als besonders nobel an, weil sie keinen einzigen Ton mit Vorzeichen unter sich haben. Das ist unsinnig, wie du ja selbst gemerkt hast. Gerade die Kreuze sind eine große Bereicherung für die Harmonie.“
   Es gab nur eines, was das fis an der G-Dur-Tonleiter störte, die es so freundlich aufgenommen hatte: Es gab in ihr schon ein fis. Dieses war natürlich um nichts weniger liebenswürdig als die anderen Töne, und die beiden fis verstanden sich auch gut miteinander, tauschten Erfahrungen aus und stellten in gemeinsamen Stimmproben fest, dass sie wirklich völlig gleich klangen; und das fis der G-Dur-Tonleiter machte unserem fis sogar das gutgemeinte Angebot, es könne sein Vertreter werden, falls es selbst einmal nicht gut bei Stimme sein sollte. Aber das fis spürte trotzdem, je länger es dort blieb, immer stärker, dass es einfach nicht wirklich gebraucht wurde. Wenn die Töne zusammen ihre Stimmen erklingen ließen und herrliche Harmonien formten, blieb das fis außen vor. Es war überflüssig. Es war sogar, wenn man das so sagen kann, noch überflüssiger als früher in der C-Dur-Tonleiter, wo es zumindest für Abwechslung hatte sorgen können – auch wenn die anderen Töne dort es nicht zu würdigen gewusst hatten.
   Dieses Gefühl bewirkte denn auch, dass unser fis nach einiger Zeit zu den Tönen der G-Dur-Tonleiter sagte: „Nehmt es mir nicht übel, Leute, aber ich denke, ich werde mich wieder auf den Weg machen. Hat nichts mit euch zu tun; ich will nur einfach noch mehr von der Welt sehen.“
   Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber keiner der Töne erhob Einspruch dagegen. Sie verabschiedeten das fis sehr herzlich, sodass es fast zu glauben begann, es wäre doch lieber dageblieben – doch als es sich aufgemacht und schon ein wenig entfernt hatte, konnte es alle Töne der G-Dur-Tonleiter schon wieder fröhlich singen hören. Das stimmte es ziemlich wehmütig. Und es ahnte, dass ihm Ähnliches noch öfter passieren würde.
   Nachdem es wieder eine Zeitlang gewandert war – diesmal blieb es still, denn es hatte keine Lust, sein einsames kleines Stimmchen zu hören –, gelangte es zur D-Dur-Tonleiter. Auch hier wurde es freundlich empfangen und eingeladen, dazubleiben. Das fis dachte zwar daran, dass sich seine Erfahrungen aus der G-Dur-Tonleiter womöglich wiederholen könnten; aber in der Hoffnung, es könne ihm hier vielleicht doch besser ergehen, nahm es die Einladung erst einmal an. Es stellte bald fest, dass die Töne der D-Dur-Tonleiter um nichts weniger liebenswürdig waren als die der G-Dur-Tonleiter. Auch sie waren entrüstet über die Art, wie es in der C-Dur-Tonleiter behandelt worden war, und äußerten sich ähnlich wie die Töne der G-Dur-Tonleiter über die Wichtigkeit der Kreuze für die Harmonie, die in der C-Dur-Tonleiter völlig verkannt worden sei. Darüber ereiferten sich besonders das cis und das fis, die beiden Töne der D-Dur-Tonleiter, die mit Kreuzen geschrieben werden.
   Dennoch blieb unser fis nicht lange. Allzu schnell überkam es dasselbe Gefühl des Überflüssigseins, das es schon in der G-Dur-Tonleiter gequält hatte; und so erklärte es den anderen Tönen bald, dass es weiterziehen wolle. Der Abschied war genauso herzlich, wie es das fis in der G-Dur-Tonleiter erlebt hatte, aber angesichts der Erfahrung, die es nach dem Aufbrechen von dort gemacht hatte, konnte es sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Herzlichkeit aufgesetzt war und es in der D-Dur-Tonleiter sehr schnell wieder vergessen werden würde.
   Auf der Weiterwanderung machte es sich zum ersten Mal Gedanken darüber, ob es überhaupt irgendwo würde bleiben können. Bis jetzt sah es ja so aus, als ob alle Gemeinschaften von Tönen bereits vollständig seien und das fis, auch wenn erwünscht und akzeptiert, immer ein Außenseiterdasein würde führen müssen. Sollte es sein weiteres Leben mit Herumziehen verbringen? Und wenn ja, was würde passieren, wenn es bei allen Tonleitern gewesen war – würde es wieder umkehren und unaufhörlich weiter von Tonleiter zu Tonleiter wandern müssen, ohne je eine Bleibe zu finden, oder gab es für einen Ton ein Dasein jenseits des Quintenzirkels?
   In derartige Grübeleien versunken, kam es in die Nähe der A-Dur-Tonleiter und machte sich schon darauf gefasst, dass alles genauso ablaufen würde wie in den beiden Tonleitern zuvor. Zunächst sah es auch ganz danach aus; das fis wurde freudig begrüßt, musste von seiner Herkunft und seinen Erlebnissen berichten und erntete auch wieder Mitleid und Empörung, als es von seinem Schicksal in der C-Dur-Tonleiter erzählte. Aber noch bevor es mit seiner Geschichte ganz fertig war, geschah etwas Seltsames.
   In einiger Entfernung sah man einen anderen Ton sich nähern. Er kam aus einer anderen Richtung als das fis, und er bewegte sich nicht so zügig und zielstrebig, sondern langsam und zögernd und offenbar nicht sicher, wohin er wollte. Schließlich war er jedoch in Hörweite gekommen und begann zu sprechen. Es war ein ges.
   „Ach bitte,“ sagte es mit ganz leiser und zittriger Stimme, „ich weiß, dass ihr mich nicht bei euch haben wollt, aber hört mich an! Ich bin ein heimatloser Ton und seit langer Zeit auf Wanderschaft, und ich möchte eure Harmonie auf keinen Fall stören. Nur ein bisschen ausruhen möchte ich gern, damit ich mit frischen Kräften weiterziehen kann. Wenn ihr mir nur für kurze Zeit eure Gastfreundschaft gewähren wollt –“
   An dieser Stelle fingen die Töne der A-Dur-Tonleiter an zu murren und zu schimpfen, was das neu angekommene ges veranlasste, demütig innezuhalten. Das fis war erstaunt; es hatte noch nie einen Ton gesehen, der sich derart unterwürfig verhielt. Außerdem verstand es die Reaktion der übrigen Töne nicht. Weshalb sollten diese sich so abweisend einem umherziehenden Ton gegenüber zeigen, nachdem sie so freundlich zu ihm selbst gewesen waren? Es wartete gespannt, wie es weiterging.
   Der Grundton der A-Dur-Tonleiter, das a, fühlte sich offenbar verpflichtet, den Konflikt auf möglichst diplomatische Weise zu regeln, denn es übertönte das verärgerte Gebrummel der anderen mit den Worten: „Meine Mittöne sind der Ansicht, dass für dich kein Platz in unserer Tonleiter ist. Und frag dich doch selbst, wie sieht denn eine A-Dur-Tonleiter mit einem ges aus? Tut mir leid –,“ (das fis dachte, dass das ganz sicher nicht der Fall war) „– aber ihr Töne mit euren Bs passt einfach nicht zu uns, ihr irritiert uns, ihr macht unseren Wohlklang kaputt...“ – „Und dabei seid ihr doch nichts anderes als Töne mit Kreuzen, die nur zu hochnäsig sind, sich so zu nennen wie es sich gehört!“ meckerte das gis dazwischen, woraufhin die anderen Töne auch nicht mehr an sich halten konnten und eine Flut von Beschimpfungen gegen das arme ges losbrach. Dieses versuchte noch zu beschwichtigen: „Ich möchte doch wirklich nur ganz kurze Zeit...“, aber es führte den Satz nicht zu Ende, weil es sowieso nicht gehört wurde.
   Das fis war völlig verblüfft. Wie konnte man so hartherzig sein, einem müden und abgekämpften Ton ein wenig Ruhe zu verweigern, nur weil er angeblich nicht in die Harmonie passte? Was für ein Unterschied bestand denn ansonsten zwischen ihm und dem ges – beides umherwandernde Töne, die keinen längeren Aufenthalt beabsichtigten? (Denn das fis wusste schon, dass es es auch ohne diesen Zwischenfall nicht lange in der A-Dur-Tonleiter ausgehalten hätte.) Was hier passierte, war einfach ungerecht; und das fis hatte ähnliche Dinge lange genug selbst erdulden müssen, um zu wissen, wie man sich dadurch fühlt. Es wurde furchtbar wütend.
   „So etwas könnt ihr doch mit einem armen, kaputten Ton nicht machen!“ platzte es heraus. „Das ist eine Unverschämtheit!“
   Alle Töne fuhren herum. Offensichtlich hatten sie das fis in ihrem unerklärlichen Hass auf das ges vollkommen vergessen.
   „Was willst du denn,“ sagte das h verdrossen, „dich hat keiner gefragt...“
   Und das gis regte sich auf: „So was. Spielt sich als Wohltäter auf und ist nicht mal hier zu Hause!“
   Das reichte dem fis. Zornig sagte es: „Auf die Gastfreundschaft von Tönen, die ihre Gunst nach so hirnverbrannten Grundsätzen verteilen wie ihr es tut, bin ich nicht angewiesen. Und er hier auch nicht. Wir werden euch nicht zumuten, Störenfriede und Harmoniekiller beherbergen zu müssen – freut euch!“ Damit packte es das ges am Arm und zog es mit sich. „Meinetwegen erstickt an eurer Harmonie!“ rief es noch zurück, bevor es mit dem ges im Schlepptau eilig und wütend davonstiefelte.
   Es war so erbost, dass es nicht eher innehielt, als bis es von der A-Dur-Tonleiter aus nicht mehr gesehen werden konnte. Dann allerdings fiel ihm wieder ein, dass es die ganze Zeit einen bedauernswert erschöpften Ton mit sich gezerrt hatte, und erschrocken wandte es sich an das ges: „Oh je, es tut mir leid, ich hätte dich wirklich nicht noch mehr durch die Gegend hetzen sollen. Jetzt werden wir erst mal Rast machen, und du kannst dich ausruhen, ja?“
   Das ges war so müde, dass es nur nickte, sich ohne weiteres auf die Erde fallen ließ und sofort einschlief. Das fis setzte sich daneben, und da es nicht so erschöpft war, nutzte es die Zeit zum Nachdenken. Was da vorhin in der A-Dur-Tonleiter passiert war, beschäftigte es sehr. Wie konnten diese Töne nur solche Vorurteile gegenüber anderen Tönen, die nicht in ihrer eigenen Tonart enthalten waren, an den Tag legen? Diese Engstirnigkeit verhinderte doch jegliche Freiheit der Modulation. Das fis kam zu dem Schluss, dass die Töne, die es bis jetzt in den verschiedenen Tonleitern kennengelernt hatte, eigentlich bemitleidenswert waren, weil sie in ihrer jeweiligen Tonart gefangen saßen und dadurch die großartige Vielseitigkeit, die die Musik ermöglicht, gar nicht richtig nutzen, ja nicht einmal erkennen konnten; aber das waren sie natürlich selbst schuld, da sie alles, was sich jenseits ihrer Tonart befand, so sehr ablehnten. Es nahm sich fest vor, so lange weiterzuziehen, bis es in eine Umgebung käme, in der sowohl es selbst als auch das ges akzeptiert und willkommen waren.
   Nachdem es diesen Entschluss gefasst hatte, legte es sich auch eine Weile schlafen, denn es war sicher von Vorteil, für die weitere Reise Kraft zu sammeln.
   Als es erwachte, richtete sich auch das ges neben ihm gerade wieder auf und streckte sich. „Ah,“ sagte es, „das hat gut getan. Ich bin froh, nicht auf die zweifelhafte Gastfreundschaft irgendwelcher unhöflichen Tonleitern angewiesen zu sein.“
   „Nein, das bist du bestimmt nicht,“ meinte das fis. „Ich finde es mehr als eine Unverschämtheit, wie sie dich in der A-Dur-Tonleiter behandelt haben!“ Als es daran dachte, brodelte schon wieder die Wut in ihm auf. „So sollte sich ein vernünftig denkender Ton einfach nicht benehmen.“
   „Tja,“ seufzte das ges, „davon scheint es leider nicht allzu viele zu geben. Ich muss gestehen, dass du der erste bist, von dem ich so etwas behaupten kann. Und du kannst mir glauben, ich habe inzwischen schon eine Menge Töne kennengelernt.“
   Das fis fühlte sich ein wenig geschmeichelt. Um nicht eitel zu erscheinen, fragte es rasch: „Wo du gerade davon sprichst, wo kommst du eigentlich her? Du siehst aus, als hättest du schon eine lange Reise hinter dir. Und warum hast du dich vor diesen unfreundlichen Tönen so erniedrigt, statt ihnen die Meinung zu sagen?“
   „Das ist eine längere Geschichte,“ sagte das ges. „Zuerst einmal – du hast recht, ich komme wirklich von sehr weit her, nämlich aus der d-moll-Tonleiter. Dort gehöre ich natürlich nicht hin, aber ich war trotzdem dort zu Hause, keine Ahnung wieso. Die anderen Töne dort haben mich allerdings nicht anerkannt. Deshalb habe ich irgendwann beschlossen wegzugehen.“
   „Genauso war es bei mir auch,“ platzte das fis heraus. Doch es ließ das ges erst einmal weitererzählen: „Ich dachte, ich könnte irgendwo bleiben, wo man als ges gern gesehen ist. Und ich kam auch bald zu Tonleitern, in denen es ein ges gibt. Das Problem war nur, dass ich dort irgendwie auch überflüssig war – ich konnte ja schlecht das alte ges von seinem Platz vertreiben und ihn selbst einnehmen.“
   Das fis nickte eifrig, denn genau dasselbe hatte es ja auch bereits erlebt.
   „Ich wanderte also von Tonleiter zu Tonleiter, von Moll nach Dur,“ fuhr das ges fort, „ohne mich irgendwo zu Hause zu fühlen. Und dann merkte ich auch sehr schnell, dass es in allen Tonleitern gewisse Vorbehalte gab, bei den Molltonleitern gegenüber den Durtonleitern zum Beispiel und umgekehrt, oder gegen Tonleitern mit anderen Vorzeichen. Es war überall dasselbe. Und am schlimmsten wurde es, als ich hier in die Nähe kam, zu den Tonleitern mit Kreuzen. Die haben sich aufgeführt, als sei das B eine Erfindung der Hölle ... du hast es ja selbst mitbekommen.“
   Wieder nickte das fis, diesmal mit grimmiger Miene.
   „Und zu der Frage, warum ich mich trotzdem, nach all den Enttäuschungen, immer noch um ein gutes Verhältnis bemühe,“ schloss das ges seinen Bericht, „nun ja, was ist schon ein einzelner Ton? Nicht sehr viel, er erhält erst Bedeutung in Verbindung mit anderen Tönen. Ich kann nicht leben, ohne ab und zu mit anderen zusammen meine Stimme erklingen zu lassen, und ich habe einfach die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass mir das eines Tages noch einmal gestattet werden wird. Sonst gehe ich nach all der Zeit des einsamen Wanderns noch jämmerlich zugrunde.“
   Auch das konnte das fis nachvollziehen, denn es hatte ja selbst das triste Gefühl erlebt, ein einsamer Ton ohne die Harmonien mit anderen Tönen zu sein. „Ja,“ sagte es, „das kann ich verstehen. Aber ich fürchte, was das angeht, muss ich dich enttäuschen. Ich selbst komme aus der C-Dur-Tonleiter ...“ und es erzählte nun seine eigene Geschichte, die der des ges so ähnlich war. Als es geendet hatte, seufzte das ges tief und sagte betrübt: „Wie schrecklich. Es sieht wirklich so aus, als würde ich nie eine neue Heimat finden, wenn ich in die Richtung weiterginge, in die ich unterwegs gewesen bin.“
   „Ja, leider scheinen die Töne in den Tonleitern überall gleich arrogant und beschränkt zu sein,“ pflichtete das fis bei. „Und das ist wirklich schade. Wenn sie nämlich weniger engstirnig wären und bereit wären, mit anderen Tönen zusammenzuwirken, dann könnten sie viel schönere Melodien zustande bringen. Immer nur in einer Tonart zu singen ist doch langweilig! Aber das sehen sie nicht ein.“
   Das ges seufzte wieder: „Ja natürlich, sie sind für die Nachteile, die sie haben, selber verantwortlich, aber was nützt uns das? Dass wir das wissen, hilft uns auch nicht dabei, andere Töne zu finden, die wir zum Leben brauchen.“
   „Sieh es doch nicht so schwarz,“ bat das fis, „noch ist nicht alles verloren. Wir wissen zum Beispiel beide nicht, ob wir den Quintenzirkel nicht vielleicht verlassen könnten.“
   „Niemals!“ sagte da das ges erschrocken. „Außerhalb des Quintenzirkels herrscht die totale Anarchie. Da gibt es Töne, die überhaupt keinen Sinn für Harmonie haben und machen, was sie wollen. Jedem normalen Ton würden dort die Ohren abfallen! Dahin kriegen mich keine zehn Pferde!“
   „Woher weißt du das?“ gab das fis zu bedenken. „Nur weil die Töne dort nicht in Tonleitern organisiert sind, muss das doch nicht heißen, dass sie alle Regeln und Formen der Musik ablehnen. Und vielleicht sind sie ja auch gerade deswegen freundlicher zu einzelnen umherziehenden Tönen als die Töne, die wir bisher getroffen haben.“
   „Hm,“ machte das ges, das über diese Worte offensichtlich erst einmal nachdenken musste. Das fis hakte noch ein wenig nach: „Und ich finde – nimm das jetzt bitte nicht persönlich! –, dass wir auch nicht besser wären als die Töne der Tonleitern hier, wenn wir andere Töne verurteilen würden, ohne sie überhaupt zu kennen.“
   Das ges antwortete wieder nur „hm.“ Nach einer Weile sagte es widerstrebend: „Na gut, du hast vielleicht recht. Ich bin bereit, mich auf das Wagnis einzulassen, aus dem Quintenzirkel auszubrechen. Aber nur, weil es die letzte Möglichkeit ist, irgendwo noch eine Bleibe zu finden.“
   „Na also!“ Das fis schlug dem ges anerkennend auf die Schulter. „Ich wusste doch, dass du vernünftiger bist als diese eingebildeten Heinis aus den Dur- und Molltonleitern. Komm, lass uns gleich aufbrechen!“
   Noch etwas zögerlich, aber ohne Widerstand ließ das ges sich vom fis auf die Beine helfen, und dann zogen die beiden los. Doch dummerweise stellten sie nach kurzer Zeit fest, dass keiner von ihnen wusste, wohin sie eigentlich gehen mussten. Dort, wo sie hergekommen waren, würden sie nur dorthin gelangen, wo das ges bereits gewesen war, und wenn sie den entgegengesetzten Weg einschlügen, wäre das derjenige, den das fis bereits gegangen war und der zurück zur D-, G- und C-Dur-Tonleiter führte; eine andere Richtung schien es nicht zu geben. Der Quintenzirkel war offenbar zweidimensional, und weder das fis noch das ges hatten eine Ahnung, wie sie aus ihm herausgelangen konnten.
   „Ich habe es kommen sehen!“ klagte das pessimistische ges. „Nicht nur, dass wir nicht wissen, was uns erwartet, wenn wir diesen schwierigen Weg gehen – der Weg selbst ist nicht einmal gangbar!“
   Das fis versuchte es wieder einmal zu beruhigen: „Das kann doch nicht sein! Es ist bestimmt irgendwie möglich, hier rauszukommen. Wir haben nur noch nicht alles versucht!“ Aber es musste sich eingestehen, dass es jetzt ebenfalls ziemlich ratlos war. Das ges hatte recht – es war einfach unvorstellbar, die Grenzen des Quintenzirkels zu überschreiten.
   „Vorstellbar!“ rief es plötzlich, „das ist es!“ Dem ges, das es verständnislos ansah, erklärte es: „Ich habe eine Idee. Bis jetzt können wir uns nicht vorstellen, den Quintenzirkel zu verlassen. Aber wenn wir das könnten, würde es bestimmt auch funktionieren! Das heißt, wir müssen uns zuerst einmal selbst klarmachen, was es bedeuten würde, sich außerhalb von Dur und Moll zu bewegen.“ Es dachte angestrengt nach. „Pass auf,“ sagte es nach einer Weile, „du bist ein ges, und ich bin ein fis. Innerhalb des Quintenzirkels sind wir ein und derselbe Ton, richtig?“
   Das ges nickte verwirrt; es begriff nicht, worauf das fis hinauswollte.
   „Wir sind aber nur deswegen gleich, weil der Quintenzirkel auf dem wohltemperierten System aufbaut,“ führte das fis seine Überlegung fort, „und wenn man dieses System einmal außer Acht ließe, würde man einen Unterschied zwischen uns erkennen. Also müssen wir uns bemühen, diesen Unterschied wahrzunehmen – das könnte uns den Weg über die Grenze öffnen!“
   „Das geht nicht,“ zweifelte das ges. „Wir sind nun einmal gleich, und ich würde bestimmt keinen Unterschied hören können, selbst wenn ich mich noch so sehr bemühte.“
   „Du hast es nur noch nicht versucht!“ widersprach das fis, das von seinem eigenen Einfall ganz hingerissen war. „Komm, lass es uns doch ausprobieren! Wir brauchen nur unseren Wahrnehmungshorizont ein bisschen zu erweitern und die ganze dumme Engstirnigkeit der Tonleitern über Bord zu werfen. Wenn es nicht klappt, haben wir Pech, aber ich bin sicher, dass wir auf diese Weise den Weg hinaus finden werden!“
   Schließlich ließ sich das ges von der Begeisterung des fis anstecken, und die beiden Töne ließen ihre Stimmen erklingen – zuerst gemeinsam, dann nacheinander. Anfangs erschien es ihnen tatsächlich so, als seien sie vollkommen gleich, und das ges wollte schon wieder entmutigt aufgeben. Aber das fis sagte: „Komm, es dauert bestimmt eine Zeitlang, bis unser Gehör sich darauf einstellen kann!“, sodass es sich zu einem weiteren Versuch bereit erklärte. Und dann rief es auf einmal völlig überrascht: „Da! Ich höre einen Unterschied! Ich höre ihn tatsächlich!“
   Im selben Moment stieß auch das fis ein Triumphgeheul aus, da es nun ebenfalls einen winzigen Unterschied zwischen sich und dem ges erkennen konnte. Und dann ging plötzlich alles sehr schnell. Kaum war der Jubel des fis verklungen, fanden sich die beiden Töne in einer gänzlich unbekannten Umgebung wieder: Eine nie gesehene Weite erstreckte sich um sie herum, und von überallher hörte man Töne – manche laut und andere leise, manche in schrägen Dissonanzen, aber auch wunderbare Harmonien und Melodien, darunter auch solche, die sich unsere beiden Töne nicht einmal im Traum hätten vorstellen können. Es war, als habe sich ihre Wahrnehmung schlagartig um mehrere Dimensionen erweitert. Sprachlos standen sie da und staunten.
   Nach einiger Zeit – sowohl das ges als auch das fis waren von der neuen, großartigen Welt, in der sie gelandet waren, noch vollkommen überwältigt – näherten sich ein paar Töne, die gemeinsam eine heitere pentatonische Melodie trällerten. „Herzlich willkommen bei uns!“ rief einer von ihnen den beiden entgegen. „Ihr seid doch sicher noch nicht lange hier, oder?“
   „Nnnein,“ antwortete das fis ganz langsam, als müsse es selbst nach diesem kurzen Wort suchen, und das ges sagte gar nichts, sondern stand immer noch mit offenem Mund da.
   Die anderen Töne lachten fröhlich, und der, der auch den Willkommensgruß ausgesprochen hatte, sagte kichernd: „Das sieht man euch an. Die meisten sind völlig hin und weg, wenn sie hier ankommen. Aber keine Sorge, das geht vorbei.“
   „Und es ist hier wirklich phantastisch,“ fiel ihm einer der anderen enthusiastisch ins Wort, „ganz ehrlich! Alles ist erlaubt, jeder ist willkommen, und jeder ist wichtig. Wir freuen uns, dass ihr den Weg hierher gefunden habt.“
   „Das ist toll,“ antwortete das fis, das endlich seine Sprache wiedergefunden hatte, „vielen Dank, wir freuen uns auch. Sehr sogar! Aber – wo sind wir hier denn überhaupt? Wir wussten nämlich eigentlich nur, dass wir von da wegwollten, wo wir bis vor kurzem gewesen sind, hatten aber keine Ahnung, wohin es uns verschlagen würde.“
   „Ihr seid an dem Ort, an dem es keine musikalischen Grenzen gibt,“ erklärte der Ton, der zuerst gesprochen hatte. „Jenseits aller Tonsysteme sozusagen. Hier herrscht für alle Töne die Freiheit, zu singen, was sie möchten. Niemand ist in ein festes System gebunden.“
   „Das bedeutet aber nicht, dass es gar keine Regeln gibt,“ ergänzte ein dritter aus der Gruppe. „Die wichtigste Regel lautet, dass kein Ton gezwungen werden kann, bei irgend etwas mitzusingen, das er nicht will. Manche Töne fühlen sich am wohlsten in irgendeiner Tonleiter, und so etwas gibt es hier natürlich auch. Wer nur in B-Dur oder nur in a-mixolydisch singen will, der kann das von morgens bis abends tun. Aber wenn ihr neugierig seid und auch gerne fremde Tonsysteme kennenlernen möchtet, habt ihr hier jede Gelegenheit dazu.“
   „Die meisten von uns kommen nämlich ursprünglich aus festen Systemen,“ ergriff der erste wieder das Wort, „und viele bleiben am liebsten bei dem, was sie vorher ihr Leben lang schon gekannt haben. Aber es gibt auch welche, die nutzen ihre Freiheit und machen  nur noch Zwölftonmusik oder andere schrille Sachen.“ Er wies auf eine etwas entfernt sitzende Gruppe Töne, die offenbar gerade ausprobierte, ob sich unter ihnen ein Intervall befand, das kleiner als ein Vierteltonabstand war. Für den Geschmack des fis‘ und des ges‘ klang es ganz grauenhaft, aber zum Glück war die Entfernung groß genug, um es nicht allzu sehr in ihren Ohren schmerzen zu lassen.
   „Ja,“ setzte der freundliche Ton nach einer kurzen Pause seine Begrüßungsrede fort, „das Wichtigste wisst ihr nun. Wir sind sicher, dass es euch hier gut gefallen wird, und wenn ihr noch irgendwelche Fragen habt, könnt ihr euch immer gern an uns wenden. Mich würde jetzt auch interessieren, woher ihr beide kommt?“
   „Aus dem Quintenzirkel!“ erwiderten das ges und das fis wie aus einem Mund, und dann begannen sie, ihren neuen Bekannten ihre Geschichte zu erzählen. Sie fielen sich dabei immer wieder gegenseitig ins Wort oder ergänzten noch irgend etwas, das sie zuerst vergessen hatten, und so wurde es ein ziemlich langer Bericht; aber die anderen Töne hörten sehr interessiert zu und machten teilnahmsvolle Bemerkungen: „So eine Unverfrorenheit, einem wandernden Ton nicht mal etwas Ruhe zu gönnen!“ oder „Was für falsche und verlogene Burschen diese Töne doch sind!“ oder auch „Das kann euch hier ganz bestimmt nicht passieren!“ Als die beiden schließlich ihre Erzählung beendet hatten, meinte einer der anderen Töne anerkennend: „Ihr wart wirklich mutig, euch auf das Wagnis einzulassen, eure vertraute Welt zu verlassen. Und dass es euch auch gelungen ist, ist sicherlich nicht selbstverständlich. Ich finde, ihr könnt sehr stolz auf euch sein!“
   „Na ja,“ sagte das ges verlegen, denn es musste daran denken, dass es sich bei dem Versuch, einen Weg aus dem Quintenzirkel heraus zu finden, ja nicht gerade sehr tapfer verhalten hatte. Aber ein anderer Ton sprach schon weiter: „Und hier werdet ihr für euren Mut belohnt. Ihr werdet nie wieder ausgestoßen oder schlecht behandelt werden, sondern jede Menge neuer Freunde finden, und ihr werdet alles singen können, wozu ihr Lust habt!“
   „Das ist fast zu schön, um wahr zu sein,“ sagte das fis hingerissen, und vor lauter Freude tanzte es zusammen mit dem ges und dem Ton, der ihm gerade am nächsten stand, im Kreis herum. Als allen dreien schwindlig war, bot einer der übrigen Töne an, sie ein wenig in der Gegend herumzuführen, sie mit weiteren Tönen bekannt zu machen und mit einigen der Tonsysteme, die sie noch nicht kannten. So bekamen die beiden Ankömmlinge einen ersten Einblick (oder besser gesagt, einen Einhör) in die atemberaubende Vielfalt der Töne: Sie lernten die Kirchentonarten kennen und die Ganztonleiter, machten Bekanntschaft mit ihren Obertönen und auch mit zwei sehr verschrobenen Tönen, die ein Quartintervall bildeten und den ganzen Tag als Martinshorn durch die Gegend sausten. Und überall wurden sie freudig begrüßt und herzlich willkommen geheißen. Beiden war klar, dass sie am Ziel ihrer Reise angekommen waren.
   So begann das Leben der beiden Töne in der Welt, in der es für die Musik keine Grenzen gibt. Sie brauchten nicht lange, um sich einzuleben und herauszufinden, was sie jeweils am liebsten taten: Das ges, wenig erpicht auf Klangexperimente, zog es vor, mit gleichgesinnten Tönen zusammen schwermütige Moll-Melodien anzustimmen, was auch seinem etwas melancholischen Naturell entsprach. Dagegen war das fis immer offen für Neues, und nachdem sich seine Ohren daran gewöhnt hatten, wagte es sich durchaus auch an Chromatik oder andere eigenwillige Tonfolgen. Am liebsten aber hörte es sich als Teil eines fröhlichen, klaren, hellen Liedes. Und wenn es irgendwo eine Melodie in C-Dur vernahm, so machte es sich gern einen Spaß daraus, ganz schnell eine Modulation zur Dominante anzuregen – etwas, das in seiner alten Heimat, der C-Dur-Tonleiter, ganz unmöglich gewesen war.
   Auf diese Weise fanden beide Töne viele gute Freunde, die ihre Vorlieben teilten und bei denen sie sich vollkommen zu Hause fühlten. Doch sie saßen auch regelmäßig zusammen und plauderten über ihr gemeinsames Abenteuer, das sie hierher geführt hatte; und dann erschien es ihnen, als ob sie erst hier wirklich begriffen hätten, was Musik eigentlich ist. Und sie waren beide sehr glücklich.
 
 

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